Michael Felix Langer
Atelier Langer Berlin

Dr. Philip Ursprung
(Prof. für Kunst- u. Architekturgeschichte an der ETH Zürich, Autor zahlreicher Publikationen und Vorträge)

Kaum jemand, der die in jüngster Zeit entstandenen Bleibilder Michael Felix Langers zum ersten Mal sieht, kann der Versuchung widerstehen, mit den Fingern über die Oberfläche zu fahren. Die unregelmäßig gewellte, teils raue, teils glatte Struktur appelliert an den Tastsinn der Betrachter, die sich gleichzeitig angezogen und – im Wissen um die Giftigkeit des Materials – abgestossen fühlten.

Tatsächlich fordern die Bilder einen zu unablässiger Bewegung heraus, um die fortwährend veränderten Farbeffekte zu beobachten. Das Element Blei mit seiner komplexen, je nach Lichteinfall bläulich schillernden oder mattgrauen, lichtabsorbierenden Oberfläche kommt dem Künstler gelegen, da es jene Eigenschaften verbindet, die ihm bei seiner Arbeit mit Skulptur zentral sind: Eine malerisch wirkende Oberfläche einerseits, eine gute Formbarkeit und spezifische Materialästhetik andererseits. Nicht zuletzt erschliesst das Material Blei durch seine schier unerschöpflichen historischen und symbolischen Konnotationen einen weiten Horizont möglicher erzählerischer Assoziationen.

Als Support der Bilder dienen Langer unterschiedlich gross zugeschnittene, auf Keilrahmen gespannte Walzbleibahnen, die in der Regel zuvor industriell genutzt worden sind. Die durch den unregelmässigen Walzprozess beziehungsweise die Alterung und Verwitterung variierende Reflexionsfähigkeit, die vielfältigen Verfärbungen und die kleinen Verunreinigungen der Oberfläche bilden den Anlass für Langers malerische Eingriffe. Er reagiert auf die Spuren auf dem Ausgangsmaterial mit zeichenhaften Interventionen, seien es spielerisch aufgetragene, milchfarbene Tupfer, seien es flächige Binnenstrukturen aus Kunstharz und Emaillefarbe. Langer bedeckt die Bleioberfläche mit verschiedenen Darstellungsebenen, ohne sie zu verdecken. Durch die opaken Schichten des Auftrages schimmert der Untergrund durch. Die Betrachter können die Überlagerungen wie Schriften auf einem Palympsest lesen und zu unerwarteten, nicht planbaren Zusammenhängen kombinieren. Rhythmus, Farbigkeit und Materialität erlauben stets neue Herangehensweisen. Die Geschichten, welche das Material Blei erzählt, die Spuren, welche die Zeit in die Oberfläche eingeschriebenen haben, werden aufgenommen und mit neuen Geschichten weitergeführt.

Die vom Künstler so genannten „Bleistrukturbilder“ können durchaus isoliert betrachtet werden, aber am liebsten arrangiert sie Langer als Ensemble. Neue Zusammenhänge spinnen sich zwischen den einzelne Binnenstrukturen und die Werke gewinnen an Komplexität und Wirkung. In der Ausstellungssituation, über die Wand verteilt und teilweise um die Ecken gruppiert, wird die bildhauerische Intention des Künstlers deutlich, nämlich ein raumgreifendes Ambiente zu errichten, das die Betrachter in einen architektonischen Zusammenhang einbezieht, ja atmosphärisch umgibt. Im Medium Bleibild gelingt es ihm, die Ansätze weiterzuentwickeln, welche er mit seiner skulpturalen Arbeit verfolgt. Tatsächlich knüpft er damit direkt an die Installationen und Skulpturengruppen an, die für sein bisheriges Werk charakteristisch sind. Die Bleibilder sind denn auch ohne die davor entstandenen anthropomorphen Bleiskulpturen kaum vorstellbar. Die etwa hüfthohen Figuren – mit Bleiblech überzogene Kunststoffkörper – evozieren einerseits die Urnenform des antiken Lekythos, die Langer gewissermassen als ein Leitmotiv seiner skulpturalen Praxis dient, erinnern andererseits an menschliche Figuren, die im Raum einzeln oder in Gruppen, aneinandergelehnt, liegend oder gegen die Wand gestützt, verteilt sind. Das verlötete Blei überzieht die Figuren wie eine Haut. Und diese Haut hat sich in den Bleistrukturbildern zu einem eigenständigen Support verwandelt.

So ist es denn auch konsequent, wenn sich der Künstler in jüngster Zeit der anspruchsvollen bildhauerischen Aufgabe der Kunst am Bau zugewandt hat. Die Begegnung mit der Massstäblichkeit der Architektur stellt für die bildende Kunst seit jeher eine besondere Herausforderung dar, da sie die schützenden Mauern des Museums oder der verlässt und sich dem (Des)Interesse eines öffentlichen Publikums stellen muss. Fast scheint es, als hätte der Künstler mit der Konzentration auf zwei Dimensionen noch einmal tief Luft geholt, um sich dieser neuen Aufgabe zu stellen. Er arbeitet mit architektonischen Elementen – namentlich Betonkuben -, welche die räumliche Logik der Metallskulpturen mit der architektonischen Logik verknüpfen. Während viele malerisch arbeitende Künstler durch die Begegnung mit der räumlichen Wirklichkeit von Architektur überfordert sind, kann Langer von seiner Praxis mit Raum und Material profitieren. Ganz selbstverständlich und mit grosser Leichtigkeit, als seien sie immer schon dagewesen, gebaren sich die Installationen im Rahmen der Architektur. Und wie die Betrachter, so setzen sie auch die Bauten in Bewegung. Die Türen stehen weit offen.

Frank Nievergelt

Auf sehr eindringliche Weise äussert sich Michael Felix Langer zu unserem Dasein im „Diesseits“. Seine Werkstoffe dazu könnten extremer nicht sein: das organische, leichte Papier, das Schwermetall Blei – eines der besten strahlenundurchlässigen Isoliermaterialien – und auf Mineralien und Asche geschmolzenes Glas. So unterschiedlich wie die Substanzen, aus denen sie geformt sind, so verschieden sind Gestalt und Ausstrahlung der Werke. Formal hat sich die Gesamtinszenierung in der Kunsthalle Wil/CH entsprechend den räumlichen Gegebenheiten aus zwei Teilen aufgebaut.

In der Eingangshalle hingen Bleistrukturbilder, im grossen Raum hat Langer eine plastische Installation eingerichtet. Den illusionären Räumen der Bilder, in die sich der Betrachter nur imaginär versenken kann, antwortete die real betretbare Inszenierung, die ihn mit dreidimensionalen Körpern direkt, physisch erlebbar, konfrontierte. So unterschiedlich die beiden Erlebniswelten, die sich dabei eröffnet haben, sind, stellen sie doch eine inhaltliche Einheit dar. Durch sie versucht der Künstler, sich dem Unsagbaren zu nähern. Der Tod bleibt die letzte konstante Grösse in einer sich dauernd verändernden Welt. Unverändert bleibt die Tatsache – das Bild jedoch, das sich der Künstler davon macht, ist stets dem Wandel unterworfen. Wo die Worte versagen, beginnt das Bild. Durch Säuren, Lacke und mechanische Eingriffe verleiht Langer seinen Bleitafeln jene bereits bildhafte Struktur, vor die er mit Ölfarbe, Kunstharzen und Blech vielgestaltete Formen legt, die als ruhig ausgewogene Komposition schwebend im Bildraum zueinander in sprechender Beziehung stehen. Unregelmässigen organischen Formen antworten geometrische. Das Blei dient nicht als Bildträger, es ist selbst Gestalt- und Inhalt gebender Bestandteil des Werkes, das der Künstler Bleistrukturbild nennt. Das blaugraue, bei frischen Verletzungen silberhell glänzende Schwermetall dient den Menschen durch seine spezifischen Eigenschaften seit der Antike bis heute in ganz unterschiedlichen Funktionen und chemischen Verbindungen. Casanova floh aus der Versenkung, den venezianischen Bleikammern, über die Bleidächer des Dogenpalastes in die Freiheit. Für die materielle Schönheit der durch die Witterung und andere Einflüsse der Zeit „gestalteten“ Flächen hatte er dabei wohl kein Auge – dazu braucht es das Sensorium des heutigen Künstlers. Die gestalterischen Eingriffe werden von Langer mit Materialaussage und Ausstrahlung verflochten, um die magisch-mythischen Wurzeln des Metalls Blei im Kunstwerk zu verschmelzen. Es trägt die Spuren vielfältiger Eingriffe in seinem Relief, in Verwitterungen und Ätzungen, die vom alles verändernden Fluss der Zeit erzählen. Zusätzlich erinnern die im imaginären Bildraum auftauchenden organischen und geometrischen Formen von Gegensätzen und ihren Umwandlungen. Sind Zeichen erkennbar, so deuten sie bloss hin, ausgedeutet sind sie damit nicht. Sie empfangen ihre Lebendigkeit aus ihrer unprätentiös spielerischen Verbindung aus der Fragilität der Komposition und der Verletzlichkeit des Materials. In Form des Senkbleis bringt Blei, stets nach unten zum Erdmittelpunkt weisend, das Diesseitige ins Lot. In der Schwerelosigkeit des Visionären, in das uns die Arbeiten von Langer entführen, sind die Gesetze der sichtbaren Welt aufgehoben. Wer den Durchgang zur grossen Halle passiert, sieht sich mit einer Gruppe von bis zu drei Meter hohen, trichterförmigen Papierplastiken konfrontiert. Spiralwirbelartig steigen sie von einem sehr kleinen, leicht ausgestellten Fuss in die Höhe, wobei sich die grosse obere Öffnung zur Seite hin neigt. Diese organisch anmutenden Trichterwesen sind auf Empfang eingestellt – sie haben etwas Horchendes und einen Sog an sich, der dem Bild eines Wirbelwindes entspricht. Durch ihre eigenartige, unwirkliche Statik wecken sie den Eindruck von leicht bewegten Wasserpflanzen. Aus der Erinnerung wachsen Bilder urweltlicher Vegetation. Das weitere Vordringen in den Raum wird behindert durch einen schwarzen, zwei Meter hohen Wall, der seitlich lediglich zwei schmale Passagen offenlässt. Auf diesem Riegel stehen Glasskulpturen, aneinandergereiht wie der gezackte Horizont einer Bergkette – zwar transparent aus Flachglasstücken gebaut, aber abweisend, kalt, unüberwindbar. Der breite Riegel teilt die Halle in einen schmalen, beklemmenden Raum, in dem sich die grossen Papierfiguren der physisch erlebbaren Begegnung geradezu aufdrängen, und in einen grossen, beinahe leer anmutenden weiten Teil. Bei der hinteren Säule stehen und liegen einzelne Bleikörper, eine ganze Gruppe lagert in der hinteren Ecke der Halle. Aus der grossen Ruhe dieses Raumes erwächst etwas Undefinierbares, Unheimliches. Wie hingeworfen und in tiefen Schlaf versunken, ruhen die mumienartigen Körper an ihrem Ort. Sind es Puppen, die der Wiedergeburt als Schmetterling entgegenschlummern? Handelt es sich um antike Amphoren, die nach einem Schiffsuntergang auf dem Meeresgrund ruhen? Dem nicht eindeutigen, unergründlichen Inhalt dieser Kapseln, ihrer bleiernen Materialität entsteigt das Unheimliche. Über ihnen liegt die Unendlichkeit des Schweigens. Diese Bleikörper ruhen im Schoss der Nacht – der Gedanke an Bleisärge, Mumien und Seelengefässe lässt sich nicht mehr verdrängen, Schlaf und Tod – Hypnos und Thanatos – sind angesprochen.

Der gesamten Rauminstallation hat Langer den Titel „Diesseits“ gegeben. Er zeigt uns die schwarze Wand, an der alle Menschen einmal anlangen – hier im Leben werden die davor Stehenden durch die Unüberwindlichkeit des monumentalen Bollwerks mit seinem gläsernen Grat auf sich selbst zurückgeworfen. Schwarz wurde in der Suche nach dem Ursprünglichen zum Drama, zum Drama des verlorenen Seins. Das Materielle bleibt im Diesseits. Drehen sich die Betrachtenden um, sehen sie die gleichsam schwebenden Papierformen, die an Vergangenes gemahnen. Der Tod zeigt uns die alles entscheidende Grenze, die „Schranke unseres Seins in der Zeit“ (Karl Barth), vor der wir uns bereits entscheiden müssen, unsere Endlichkeit zu einem vertrauten Element des Lebens zu machen. Subtil, auf alles Vordergründige verzichtend, weist uns der Künstler auf diese ernstzunehmende Tatsache hin.

Dringt der Besucher durch den schmalen Durchlass weiter in die Halle vor, stehen und liegen die Bleiformen, jede als ein Individuum für sich. Im Aspekt des Gefässhaften und der damit verbundenen Assoziation der Verpuppung wird die Möglichkeit der Metamorphose – vom irdischen Wesen zum rein Geistigen – angedeutet. Der Schmetterling ist seit der Antike ein Symbol für die unsterbliche Seele. In seiner Metamorphose bedeutet Tod nicht Ende, sondern Übergang in einen anderen Zustand. Der antike Grabkult ist in der formalen Nähe zur Amphore intendiert. Die Gestalt der Bleikörper entwickelt Langer aus der plastischen Auseinandersetzung mit den Lekythen, den im antiken griechischen Grabkult verwendeten Ölgefässen. Es ist das Unbewältigte – das vielleicht nicht zu Bewältigende des Daseins – das Langer zur Gestaltung plastischer und bildhafter Schöpfungen herausfordert. Die Frage nach dem Schicksal des Menschen im Tode steht dabei im Raum. Der Tod selbst entzieht sich der Darstellung. Nur als Allegorie, in der Auswirkung auf den Verstorbenen oder in der Reaktion der „Überlebenden“ kann er Gestalt annehmen. Über den Tod reflektieren, heisst ihn als Phänomen des Lebens zu respektieren und ihn als unabdingbaren Bestandteil des menschlichen Seins zu akzeptieren. Hinter dem Gesicht des Todes lässt sich nicht sehen; hinter dieser Grenze beginnt der Bereich des Numinosen, des Glaubens, der Hoffnung und Ahnung. Mit eindrucksvollen Chiffren versucht Langer eine Annäherung an das Unaussprechliche und Unerforschliche. Mythos und Realität verflechten sich in seinem Werk. Er lässt viele Deutungen zu, der geistige Raum seiner Installationen ist vielschichtig, so wie er in seinen Bildräumen Schichten überlagert, in das Blei schürft, um Darunterliegendes freizulegen. Auch der Betrachter ist gefordert, Verschüttetes offenzulegen.

Im „Diesseits“ hat Langer seine Installation angesiedelt – es sind diesseitige Bilder, aber wer Diesseits formuliert, verweist auf das Jenseits. Hier und jetzt, im Leben, bleibt der Blick über diese „Hecke“ verwehrt.

Carrie Asman

Physikalisch gesehen ist Blei das schwerste und dichteste Element, das die genaue Mitte des Periodensystems besetzt. Seiner hohen Dichte wegen bietet dieser Stoff wie kein zweiter auch den grössten Schutz gegen radioaktive Strahlung. Diese späte Erkenntnis der schutzbringenden Eigenschaft des Bleis war ein Durchbruch für eine Reihe von medizinischen und naturwissenschaftlichen Aktivitäten, der nun keine Grenzen mehr gesetzt wurden. Blei hat der Medizin gestattet, den alten Traum der Transparenz, von der Durchleuchtung des lebenden menschlichen Körpers wahrzunehmen.

Dennoch bleibt diese Entdeckung der modernen Technologie ein Kuriosum, vor allem angesichts der Tatsache, dass Blei gleichzeitig auch zu den Giftigsten aller Metalle zählt. Diese grundsätzliche Ambivalenz in der Zuschreibung seiner vielen Funktionen durchzieht sowohl die Fachliteratur als auch älteste Mythen und Sagen verschiedener Kulturkreise über den Ursprung der Metalle, die sich – jede auf ihre Art – mit den widersprüchlichen Eigenschaften dieses Stoffes auseinandersetzen. Ob das Leben mit dem Tod, das Höchste mit dem Niedrigsten, oder das leichteste mit dem schwersten Metall – Gegensätzliches zu verbinden, bildet seit jeher die Quintessenz dieses mythen- und sagenumwobenen Stoffes.

Für Alchemisten seit Paracelsus ist Blei zwar das „niedrigste“ Metall, eines aber, das in seiner verflüssigten Form deshalb Quintessentia genannt wird, weil es die Fähigkeit besitzt, die Eigenschaften einer Substanz in die eines „höheren“ zu verwandeln. Aus der Perspektive der Metallurgie fungiert Blei als Bindeglied zwischen allen Metallen, und als die Voraussetzung für die Verwandelbarkeit der Materie schlechthin. Blei ist wichtiger Bestandteil solcher Edelmetalle wie Silber und Gold, die hinter dem leuchtenden Schein der Vollendung ihr niedriges Basiselement selten verraten.

Durch die Entdeckung seiner Fähigkeit zu verwandeln, steht das Blei für den Einbruch der Zeit in die Materie, für den vermessenen Traum von Geschwindigkeit, die die Natur überholt und überbietet. Auf metallurgischer Ebene ist Blei Agens der Entgrenzung und der vermittelnde Brückenkörper der Metalle.

Am Ende des Mittelalters gab es eine Symbiose der metallurgischen und alchemistischen Traditionen. Zu dieser Zeit herrschte noch der Glaube, dass Metalle und Mineralien wie Pflanzen und Tiere wachsen und reifen, und dass dieses Wachstum durch den Alchemisten oder die Gestirne beeinflusst werden könnte. Diese Embryologie der Metalle, die besagte, dass alle Metalle mit der Zeit zu Gold werden, kann vermutlich als Relikt des antiken Glaubens an ein kommendes Goldenes Zeitalter verstanden werden. Das erste deutsche Buch über dieses Thema, das Bergbüchlein (1505) eines Arztes, der in Freiburg unter Bergleuten wohnte, erklärt die Entstehung des Kupfererzes durch den Planeten Venus, diejenige des Eisens durch den Einfluss des Mars, und jene des Bleis durch den Einfluss des Saturn.(1)

Das Blei wird also sowohl dem Himmelskörper Saturn als auch der griechisch-römischen Gottheit Kronos-Saturn zugeordnet. Die Langsamkeit des planetarischen Umlaufs ist die physikalische Eigenschaft, die Saturnus zum Erfinder der Schwermut und der Melancholie, der Langsamkeit und der Verzögerung, zum Verursacher langsamer Rechtshändel macht. (2) Auf mythologischer Ebene gilt Saturn, die römische Variante des griechischen Kronos, nicht nur als Gott der Entgrenzung, sondern auch als Gott des Todes und der Trennung, dessen Sense alle Bande und Bindungen durchschneidet. Durch den Einsatz einer scharfzahnigen Sichel vollzieht der Sohn Kronos die Entmannung des Vaters Uranus. Diese Sichel wird sowohl in der Saturn Ikonographie und in der alchemistischen Notation als Zeichen festgehalten.

Wie das Stroh in der Hand der Prinzessin im Rumpelstilzchen zu Gold wurde, oder das dritte bleierne Kästchen, das Bassanios Glück birgt im Kaufmann von Venedig, steht das Blei für die Möglichkeit der Verwandlung und der Sublimierung – nicht nur von niedrigen Stoffen oder Metallen, sondern auch für die Notwendigkeit einer veränderten Wahrnehmung und der Umwertung des Systems, womit man sie bemisst.

(1) Im Vorwort seines De re Metallica (1530) schreibt Agricola das Büchlein dem Colbus Fribergius zu.
(2) Raymond Klibansky, Erwin Panofsky, Fritz Saxl, Saturn und Melancholie: Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und der Kunst, Frankfurt 1990, S.223f.

Dieter Rahn (Autor von: Die Plastik und die Dinge, Rombach Philosophie, Rombach Verlag, 1993)

Die Ausstellung der Radierungen von Michael Felix Langer lässt nur zum Teil deutlich werden, dass er im Grunde Bildhauer ist. Nur zwei kleine Arbeiten geben davon in dieser Ausstellung ausdrücklich Zeugnis: das ist hier neben mir “Pfad” und im gegenüberliegenden Raum die Skulptur “WIR”.

Dabei war das am Anfang seiner künstlerischen Ausbildung an der Akademie der Künste in München offenbar keineswegs entschieden, was er werden will, ob nun Maler oder Bildhauer. Denn angefangen hat er dort in einer Malklasse, in der Klasse von Horst Sauerbruch (1976-77).

Doch in das Studium der Malerei hatte er eine Erfahrung mitgebracht, die unversehens seine Abkehr von der Malerei mit auf den Weg brachte. Für die Aufnahmeprüfung an der Akademie der Künste musste man nämlich ein Praktikum vorweisen. Zufällig bot sich dafür eine Möglichkeit in einem Steinmetzbetrieb (1975-76). Diese Erfahrung im Steinmetzbetrieb hat im Studium vermutlich die Überzeugung in ihm reifen lassen, dass er kein Maler ist. Er verlässt jedenfalls die Malklasse und macht eine Lehre als Steinmetz, in den Jahren 1977/78. Erst nach dieser Lehre begann er das Studium der Bildhauerei, ebenfalls an der Akademie in München bei dem dänischen Bildhauer Robert Jacobsen.

Ein dänischer Bildhauer in Bayern – das war nicht selbstverständlich und hatte mit den Umbrüchen zu tun, die damals an den Hochschulen stattfanden und die eine stärkere internationale Ausrichtung mit sich brachten. Der junge Student aus Kempten ging bewusst in diese Klasse. Als Sohn eines Weinhändlers war ihm nicht nur die internationale Ausrichtung sympathisch, er teilte offenbar mit anderen Söhnen von Weinhändlern, die sich der Kunst zuwandten, das dionysische Bedürfnis, die bestehenden Grenzen der Kunst zu durchbrechen. Ich erinnere nur an Jean Dubuffet, auch er war in einer Weinhandlung groß geworden.

Die Jahre, in denen Michael Felix Langer studierte, brachten viele Veränderungen in der künstlerischen Ausbildung mit sich. Die Studenten übten sich in einer neuen Rolle. Sie forderten eine offene, liberale Ausbildung, in der die strikte Trennung der Kunstgattungen nicht mehr akzeptiert wurde. Und vor allem sie waren es, die sich für die Berufung international orientierter Professoren einsetzten – der Bildhauer Robert Jocobsen gehörte schon dazu.

Als Michael Felix Langer 1981 nach Berlin an die Hochschule der Künste wechselte, ging er ebenfalls zu einem Lehrer, der durch die Initiative der Studenten berufen worden war: zu Shinkichi Tajiri. Bei ihm ist er 1984 zum Meisterschüler ernannt worden, von ihm hat er auch die nachhaltigsten Impulse für seine Arbeit erhalten.

Tajiri verglich öfters die Aufgabe des Kunstschaffenden mit dem Auffinden einer entrückten, fremden Kultur, vergleichbar der Aufgabe eines Archäologen oder Ethnologen, der eine fremde Kultur erforscht. Das Reisen wird zu einer immer gern wiederholten Übung von Michael Felix Langer, nicht stationär sein, sondern unterwegs sein. Später wird er einer Ausstellung während eines Frankreich-Aufenthaltes den Titel geben: No made in Germany. Darin spielt er mit den Bedeutungen: made in Germany, no made in Germany, aber eben auch mit der Bedeutung: Nomade in Deutschland.

Das Auffinden der fremden Kultur, genannt “Kunst”, schloss im Studium den neugierigen Umgang mit allen möglichen Medien, Materialien und künstlerischen Mitteln ein: nicht nur mit den traditionellen bildenden Künsten, sondern auch mit Video, Film, Foto, Musik und Schauspiel. Tajiris Experimentierfreude faszinierte den jungen Studenten. Hier bildete sich im Umgang mit den verschiedenen Materialien und im Erproben von spannungsreichen Kombinationsmöglichkeiten die immer noch aktuelle Grammatik seiner künstlerischen Arbeit aus.

Diese Grammatik diente dazu, das Erzählerische weiterzutreiben, daran lag ihm. Das Erzählerische wurde durch diese Grammatik strukturiert. Sie sollte es ermöglichen, das Widersprüchliche des Daseins zu fassen, seiner Schönheit und auch dem Schmerzlichen einen Ort zu geben.

Beispielhaft dafür ist eine Rauminstallation, die er 1998 in der Schweiz, in Wil, aufgebaut hatte. Das geschah unter dem Titel “diesseits”. Und wenn vom Diesseits gesprochen wird, dann denkt man den anderen Pol, das Jenseits, unausgesprochen mit. Auf der einen Seite sind da fünf überlebensgroße, trichterförmige Papierskulpturen, die an Schalltrichter alter Grammophone erinnern. Von einer kleinen Basis aus steigen sie spiralförmig empor, ihre obere Öffnung neigt sich zur Seite.

Diesen Gebilden aus dem leichten Material Papier, diesen Papiergewichten, steht gegenüber eine Gruppe von stehenden und auch liegenden Bleikörpern, die in ihrer Form an griechische Amphoren denken lassen, an Ölgefäße, wie sie in der Totenzeremonie verwendet wurden.

Dem Leichten steht das Schwere gegenüber und in der Mitte zwischen beiden eine räumliche Trennwand, ein großer schwarz gestrichener Sockel mit einer kristallartigen Glasskulptur darauf. Hier wird die Trennung beider Bereiche noch einmal ausdrücklich bestätigt und zugleich mit dem Glas die Transparenz betont, die zwischen den Bereichen auch besteht.

Der Titel der Rauminstallation ist “diesseits” – es geht darum, in welcher Weise das Unausgesprochene, das Jenseits, in das Diesseits hineinreicht und hier gegenwärtig ist. Und das kann in ganz verschiedener Weise der Fall sein, es kann das Leben leicht machen, aber es kann es auch schwer machen, auf sein Ende hinweisen.

Michael Felix Langer spricht vom Blei als einem saturnischen Element. Damit verweist er auf die Esoterik und die Astrologie. In der klassischen Astrologie war Saturn der äußerste Planet unseres Sonnensystems, weiter als bis zu ihm konnte man ohne unsere modernen Hilfsmittel damals nicht sehen. So trennte Saturn die weltliche, diesseitige Ordnung – vom Chaos, das hinter seiner Bahn begann, er wurde “Hüter der Schwelle” genannt. Als Hüter dieser Schwelle spricht er auf der einen Seite unseren Sinn für Realität und gesetzmäßige Ordnung an – aber auf der anderen Seite auch das, was uns Angst machen kann, Angst vor der Orientierungslosigkeit und dem Chaos.

Saturn wird übrigens auch dem griechischen Chronos gleichgesetzt, dem Gott der Zeit, der die Scheidung von Tag und Nacht vollzieht und damit ein Ordnungsprinzip einführt, das geregelte Abläufe bringt – das aber auch ohne anzuhalten weiter schreitet, um uns unserer irdischen Bestimmung und schließlich dem Tod entgegen zu führen. Auch bei der Zeit findet sich eine polare Konstellation: einerseits hat sie das Bedrängende, das unaufhaltsam Weitertreibende, aber sie kann auch davon erlösen: in der Erfahrung, dass einem Zeit geschenkt wird, dass man sie vergessen kann. Saturn ist auch der Herrscher des Goldenen Zeitalters.

Ich erwähne diese Rauminstallation, um einmal das Maß der Interpretation, manchmal auch das Übermaß an Interpretation anzudeuten, das die Arbeiten von Michael Felix Langer gelegentlich provozieren können, ich erwähne sie vor allem aber auch deswegen, weil sich von ihr aus der Weg zu den Radierungen anbahnt, wo Michael Felix Langer erstmals gebrauchte, alte Walzbleibleche für die plastische Arbeit verwendete.

Beim Ausbreiten und Flachklopfen nun entdeckte er ihren Reiz als Fläche. Er begann, sie als Malgründe auf Rahmen zu spannen und bearbeitete sie mit Säuren, Bürsten, Harzen und allen Arten von Farben. Das Überraschende: Die Malerei gewann in seinen Augen eine neue Qualität. Er hatte den Eindruck, das der schwere und höchst giftige Grund zu etwas geworden war, auf dem die Farben tanzen konnten wie Reflexe auf einer Wasserfläche. Es gelang ihm, die saturnisch schweren, grau schillernden und reliefartig strukturierten Untergründe in eine überraschend heitere Reliefmalerei zu verwandeln.

Der Umgang mit der Malerei führt dazu, dass ihn jetzt andere Sujets zu beschäftigen beginnen als in der Bildhauerei. Es ist jetzt weniger das Stehen, das zum Thema wird, es erscheint eher eine Landschaft, etwas, das sich ausbreitet, sogar Stimmungen werden spürbar. Mit dem neuen Medium öffnet sich natürlich auch der Blick auf andere Maler und auf das, womit sie umgehen. Eine Ausstellung des dänischen Künstlers Per Kirkeby z. B. wirkt wie ein Katalysator. Er stellt überrascht fest, dass es bekannte Zeitgenossen gibt, die sich mit Dingen beschäftigen, die er bis dahin als völlig altmodisch angesehen hätte, die Radierungen machen, mit Kupfer- und Zinkplatten. Früher noch – in seiner Studienzeit – hätte er dieses Medium als längst überholt angesehen.

Er probiert es nun auch aus und kann dabei etwas direkt in seine künstlerische Arbeit einbringen, was er früher nur nebenbei gemacht hatte, nämlich Skizzen, Notizen von Reisen, flüchtig erlebte Landschaftseindrücke. Es sind keine realistischen Wiedergaben sur le motif, sondern eher Eindrücke aus der Erinnerung, die er festhält, Bilder, die abgelagert waren. Und das Phantastische: Die Beschäftigung mit dem neuen Medium ist von wohltuender Erholung. Er macht die Erfahrung, dass man hier lockerer arbeiten kann als in der Skulptur. Aber – es ist keine Abwendung von der Skulptur. Ein großer Reiz dieser Arbeit an den Radierungen liegt für ihn gerade darin, auch hier spezifisch bildhauerische Mittel anwenden zu können.

Werfen wir einen Blick auf die Technik. In aller Regel arbeitet Michael Felix Langer mit Zinkplatten, ganz selten hat er auch verstählte Kupferplatten verwendet. Ein gängiges Verfahren, an das man bei Radierungen denkt, kommt bei ihm überhaupt nicht vor: die Arbeit mit einem Ätzgrund. Ich beschreibe einmal grob das gängige Verfahren. Bei der Arbeit mit dem Ätzgrund wird auf das Metall chemisch eingewirkt, im Säurebad. Dazu überzieht man die Platte auf der Seite, die die Zeichnung aufnehmen soll, mit einem dünnen Ätzgrund. Der Ätzgrund ist säurebeständig. Die Rückseite wird durch einen Asphaltfirnis ebenfalls gegen die Säure geschützt. In die dünne Schicht des Ätzgrundes ritzt man nun mit verschieden starken Nadeln die Linien der Zeichnung so tief ein, dass das Metall freigelegt wird, Anschließend wird die Platte in ein Säurebad getaucht. Die Säure frisst nun an den freigelegten Stellen die Linien in das Metall ein. Anschließend wird die Platte gereinigt und unter leichter Erwärmung mit Druckerschwärze eingefärbt. Dabei darf die Farbe nur in den Furchen bleiben, der Rest der Platte muss sorgfältig gereinigt werden. Dann legt man für den Abdruck angefeuchtetes Papier auf die Platte und darüber ein Filztuch. Das Filztuch hat eine doppelte Aufgabe zu erfüllen: es soll die beim Pressen ausgequetschte Feuchtigkeit des Papiers aufnehmen und gleichzeitig das Papier in die Furchen drücken, damit sich Farbe und Papier verbinden können. Da das Papier stets größer gewählt wird als die Druckplatte, drückt sich auch die Platte in ganzer Größe auf dem Papier ab. Dabei entsteht der sogenannte Plattenrand.

Das Radieren hat (gegenüber dem Kupferstich z. B.) den Vorteil, dass der Künstler sich mit der Nadel so frei bewegen kann, als zeichne er auf Papier. Bei einem Stich dagegen wird ein Span des Metalls nach dem anderen aus der Platte herausgehoben, an den Rändern bilden sich Grate, die man einebnen muss. Außerdem bewegt der Stecher sein Arbeitsgerät immer nur in eine Richtung, nämlich stets vorwärts, von sich weg. Deswegen muss er die Platte ständig drehen, wenn die Richtung des Strichs sich ändert. Hier schafft die Radierung also eine große Erleichterung und eine größere Nähe zum Zeichnen auf Papier.

Also mit einem Ätzgrund arbeitet Michael Felix Langer nicht. Er bevorzugt das sogenannte Kaltnadelverfahren, eine rein manuelle, mechanische Bearbeitung der Metallplatte für den Tiefdruck. Das klassische Werkzeug ist die Radiernadel aus Stahl. Die Nadel wird bei der Zeichnung wie eine Zeichenfeder oder ein Bleistift gehalten. Überhaupt ähnelt die Nadelarbeit sehr der Federzeichentechnik, besonders was die Schraffuren anbelangt. Diese Haltung ermöglicht eine große Beweglichkeit der Hand. Der wesentliche Unterschied zum Stich liegt darin, dass kein Span herausgehoben wird, sondern die Nadel das Metall verdrängt und als Grat seitlich nach oben an den Rand der Linie drückt.

Mit einer Stahlnadel also werden Linien gezogen, mit einem Kratzspatel Schraffuren angelegt, mit rauhem Schleifpapier ebenfalls Grauflächen – und mit feinerem Schleifpapier lässt sich Wolkiges anlegen. Eine Besonderheit in dem Verfahren unseres Bildhauers nun ist es, dass auch mit der Maschine, mit der „Flex“, Eingriffe vorgenommen werden können, sogar mit dem Schweißgerät. Die ganz weissen Stellen der Arbeiten an der gegenüberliegenden Wand sind so entstanden.

Die direkte, manuelle Bearbeitung der Metallplatte ist ein wenig vergleichbar der direkten Bearbeitung des Steins in der Bildhauerei. Brancusi hatte im letzten Jahrhundert diese seit dem Klassizismus vernachlässigte alte Arbeitsweise für die Bildhauerei wiederentdeckt. Es ist also das bildhauerische Interesse am Material und seinem Widerstand, das hier die Arbeit an der Metallplatte beeinflusst. Schon dass sich Michael Felix Langer überhaupt der Bildhauerei und damit dem Umgang mit der Schwere zugewandt hat, gründet in diesem Bedürfnis nach Widerstand. Es ist sein Weg, einen festen Stand zu gewinnen.

Auch mit der Wahl des Metalls Zink für das Kaltnadelverfahren hat er sich schon einen Widerstand geschaffen. Denn für die Kaltnadeltechnik ist Zink nur bedingt geeignet. Zwar kann die Radiernadel verhältnismäßig mühelos in das weiche Metall eindringen, aber ebenso leicht werden die Grate beim Drucken wieder in die geritzten Linien zurückgeschoben. Aber auch die Linien selbst sind nicht so tief wie beim Ätzen und so erlaubt diese Technik nur eine kleine Auflage, in der Regel werden nur zwischen 9 und 16 Blättern gedruckt. Wenn die unterschiedlichen Grautöne nicht mehr kommen, dann ist es Zeit, den Druck abzubrechen. Die Farbe für den Druck mischt Michael Felix Langer übrigens selber. Er verwendet dafür Blauschwarz und Braunschwarz und gibt dann noch etwas Grün dazu. Sie können den Unterschied der Tönung an den beiden Arbeiten im Flur sehen. Die Arbeit links ist mit handelsüblicher Druckerschwärze gedruckt, die rechte mit seiner eigenen Mischung.

Mit dem ersten Druck ist die Arbeit an der Platte aber oft noch nicht zu Ende, sie wird weiter bearbeitet und verändert. Sei es, dass im Motiv weitere Modifizierungen eintreten, sei es, dass die Platte gedreht oder sogar zerteilt wird, um so einen neuen Ausgangspunkt, ein ganz anderes Motiv, für einen weiteren Druck zu gewinnen.

An der gegenüberliegenden Wand im anderen Raum können sie links drei verschiedene Bearbeitungen derselben Platte sehen, daneben rechts wird aus der Drehung einer Platte um 90 ° eine neue Arbeit – und hier am Eingang sehen Sie das Resultat der Zertrennung der großen Platte, die den beiden Arbeiten im Flur zugrunde lag.

Auch hier zeigt sich der Bildhauer: Brüche schaffen, Schnitte machen, nicht nur Formen und Modellieren, sondern das Vorhandene neu zusammenstellen. So liefert Arbeitsprozess selber neue Motive, sie entstehen bei der Arbeit. Deshalb ist es für Michael Felix Langer wichtig, keine längeren Unterbrechungen in den Arbeitsgängen zuzulassen, denn ein längeres Aussetzen macht es ihm schwerer, wieder ein Motiv zu finden.

Die Arbeit an den Radierungen erlaubt ein entspannteres Arbeiten verglichen mit der Arbeit an den Skulpturen. Abwechslung ist immer eine Erholung, und glaubt man dem Philosophen Immanuel Kant, dann ist es die einzige Erholung, die der Geist haben kann. Nichtstun ist keine Erholung für den Geist, nur die Abwechslung.

Mir scheint, dass die entspanntere Atmosphäre aber noch mit einem anderen Umstand zusammenhängt. Erinnert man sich daran, mit welcher Bedeutung das Blei in den Skulpturen aufgeladen war, wie sehr es in einen Erzählzusammenhang gestellt war mit seinem Bezug auf das Saturnische, dann fällt auf, wie wenig Bedeutung mit dem neuen Metall, dem Zink, im Blick ist. Es ist nicht so, dass statt Saturn jetzt Jupiter relevant wird, der Gott, dem das Zink zugeordnet ist. Das Bedeutungshafte tritt hier vielmehr zurück zugunsten rein bildnerischer Impulse. Das Motiv drehen oder auch zerschneiden, das zeigt, wie sehr das – am Anfang möglicherweise noch vorhandene – erzählerische Moment an Bedeutung verliert zugunsten einer sich erst im Arbeitsprozess selber einstellenden bildnerischen Konstellation.

Hatte Michael Felix Langer in einer Rauminstallation wie “diesseits” noch ein Interesse daran, so etwas wie ein Weltbild zu entwerfen – ganz ähnlich übrigens wie der von ihm verehrte Josef Beuys es mit seinen Installationen oft getan hat – dann fehlt das in den Radierungen meiner Meinung nach völlig. Beuys war darin der deutschen Romantik sehr nahe. Das Kunstverständnis dagegen, das sich mit der klassischen Moderne in Frankreich Bahn gebrochen hat, ist immer gegen eine solche Art totaler Weltschau gewesen. Der Künstler dort ist kein Visionär, er versteht sich eher als schlichter Handwerker.

Die deutsche Romantik und die französische klassische Moderne sind die beiden großen Ereignisse, auf denen die Kunst des 20. Jahrhunderts mit all ihren Unterschieden aufbaut. Und in den Radierungen von Michael Felix Langer kommt stärker der Zug zum Tragen, der mit der französischen Tradition begonnen hat, der keine Weltschau entwirft, sondern der mit der Konzentration auf die bildnerischen Mittel daran arbeitet, unser Sehen beweglich zu halten.

Sie werden es beim Anschauen merken, wie sehr Ihnen die Arbeiten bewegt, lebendig erscheinen, und das liegt daran, dass sie bildnerisch so gebaut sind, dass sie unser Sehen bewegen und es nicht fixieren. Die Brüche, die Schnitte und die Drehungen der Motive, die Michael Felix Langer vornimmt, korrespondieren einer Eigenart unseres Sehens: dass es sich nämlich nicht kontinuierlich bewegt, es bewegt sich sprunghaft.

Es wechseln Zustände genauen Hinsehens mit solchen der Zerstreuung; es folgen Versuche, das Ganze zu übersehen, auf Bemühungen, ins Detail einzudringen. Erst der nicht kalkulierbare Wechsel, der nicht kontinuierliche Übergang von der einen zur anderen Einstellung, macht unser „Sehen“ aus. Wenn der natürlichen Sprunghaftigkeit unseres Sehens bildnerisch Bahnen gebaut werden, erscheinen uns die Arbeiten selber “natürlich” oder lebendig, auch wenn wir nicht mehr erkennen, worum es sich motivisch handeln mag.

Diese Erfahrung, die man hier an den Radierungen machen kann, könnte nun Mut machen, auch unbefangener auf die Skulpturen und Rauminstallationen zu blicken, sich entschiedener auf ihr bildnerisches Gefüge einzulassen, nicht nur auf der Suche nach einer Bedeutung, sondern mehr auf das achtend, was in ihnen bildnerisch geschieht: offen für den Raum, den sie uns gewähren, aufgeschlossen für die Empfindung, die sie in uns wachrufen und nicht zuletzt: neugierig auf die Bewegung, die sie unserem Sehen ermöglichen. Wenn sie schließlich einen Ort bilden, an den wir gern wieder zurückkehren, dann liegt das an einer Eigenschaft, die beides auszeichnet, Skulpturen und Radierungen: es ist schlicht ihre Poesie.

Zitiert aus: Belser Kunstbibliothek. Die Meisterwerke aus dem Antikenmuseum, Berlin. Staatl. Museum Preußischer Kulturbesitzt mit freundlicher Genehmigung derselben

Attisches Ölgefäß (Lekythos) des Sabouroff-Malers aus Athen. Um 450-440 v. Chr. Ton, H. 31 cm.

Die junge Demokratie am Ende des 6. Jh. hatte die großen Marmorgrabmäler als Ausdruck aristokratischer Repräsentation anscheinend eingeschränkt. Im 5. Jh. blühte eine bescheidenere Gattung von Denkmälern der Totenverehrung: die weißgrundigen Lekythen.

Atelier Michael Felix Langer, BerlinEs sind tönerne Ölgefäße, die bei der Aufbahrung standen und ins Grab mitgegeben wurden, und die auch bei Gedächtnisfeiern am Grab aufgestellt waren. Ihre Funktion als Ölgabe wird bald eher symbolisch als praktisch gewesen sein; unser Beispiel hat einen Einsatz im Innern, der das Gefäß mit einem kleinen Guß Öl schon randvoll erscheinen ließ. Um so wichtiger wurden die Bilder, die auf eine feierliche weiße, auf den roten Ton aufgetragene Grundierung gesetzt sind, in Strichzeichnung im üblichen schwarzen Glanzton zuerst, dann auch mit matten und deckenden – oft leicht vergänglichen – Farben. Diese malerischen Qualitäten, die Sensibilität der Zeichenlinie, die diese spezielle Technik erlaubt, schließlich auch der helle Grund, der die Figuren atmosphärisch verbindet, ermöglichten seltsam stimmungsgeladene Bilder, die neben der rotfigurigen Vasenmalerei durchaus eigenwertig stehen, auch wenn die Zeichner oft beide Techniken ausgeübt haben.

Die Themen sind unheroisch, doch innig: häusliches Leben der Frau, dann vor allem die Schmückung des Grabes durch die Angehörigen; oft erscheint der Tote selbst am Grab gegenwärtig, manchmal wird sein Aufbruch ins Schattenreich gezeigt.

Im Boot wartet hier der Totenfährmann Charon, mit Mütze und Schurz des Arbeiters bekleidet: schwer ausruhend, doch griffbereit, stützt er sich auf die Stange, mit der er sein Gefährt über die stillen Wasser des Unterweltflusses zurückstaken wird. Am Ufer steht Hermes, der göttliche Bote, mit dem Hut des Wanderers und geflügelten Schuhen; er kennt alle Wege, auch den ins Schattenreich, und er hat die Botschaft gebracht, die dem Menschen die letzte ist. Er steht da in überlegener Lässigkeit, doch den rechten Fuß schon zum Boot gewandt; die Linke winkt mit dem Boten- und Zauberstab in leiser, doch zwingender Geste dem Abzuholenden. Der, ein junger Mann, steht fast bewegungslos, in den langen Mantel gehüllt, wach und sehenden Blickes, schon im ersten zögernden Schritt. Hermes wird sich umwenden und vorausgehen.

Nicht als grausige Figur erscheint der Tod, und keine Klage des Abscheidenden wird laut. Und doch steckt in dem gleichsam endlosen Augenblick vor der Wende die Endgültigkeit in einer Schärfe, die der moderne Betrachter allerdings nur versteht, wenn er vom griechischen Pessimismus in Hinsicht auf das Jenseits weiß.